Eine große Runde durch das deutsche und polnische Görlitz
01.06.2014 von Bernd Neumann
Auf dem Flyer zum EUROPA Görlitz – Zgorzelec MARATHON heißt es Ein Lauf durch zwei Länder – Bieg Przez Dwa Kraje – Running Across Two Countries. Zweiländer-Marathons gibt es oft bei Veranstaltungen, die direkt an einer Ländergrenze liegen (z. B. Echternach-Marathon D-LUX, Usedom-Marathon D-Pol). Während es an der Westgrenze bisher fast normal war, ist es an der Ostgrenze noch nicht so lange üblich. Erst seit Dezember 2007 gibt es offiziell keine Passkontrollen mehr zwischen Deutschland und Polen.
Der Görlitz Marathon hat aber noch eine ganz andere Faszination und das ist die Stadt selbst. Im 2. Weltkrieg sind viele historische Städte zerbombt worden, aber Görlitz hatte hier Glück. In der Stadt existieren ca. 4.000 historische Gebäude aus verschiedenen Zeitepochen. Im Altstadtbereich findet man die spätgotischen, Renaissance und Barockbürgerhäuser und im Umkreis die Gründerzeitviertel. Görlitz wurde zu einer der Modellstädte für Stadtsanierung da hier der Verfall der historischen Gebäude besonders weit fortgeschritten war. Zu DDR-Zeiten gab es den Spruch "Ruinen schaffen ohne Waffen". Das hier jedes Jahr viele Gebäude gerettet wurden und noch werden hat die Stadt einem anonymen Spender zu verdanken, der schon seit 1995 über jährlich eine Million DM spendet für die Restaurierung der Stadt.
Eigentlich gibt es Görlitz zweimal, einmal die Stadt Görlitz in Sachsen und auf der anderen Seite der Neiße in Polen die Stadt Zgorzelec, die in deutsch auch Görlitz heißt und früher die Ostvorstadt von Görlitz war. Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Grenze durch die Lausitzer Neiße gezogen und seit dem gibt es die polnische Stadt Zgorzelec. Das schöne ist, das diese beiden Städte schon seit längeren eine enge Freundschaft verbindet und in vielen öffentlichen Bereichen zusammen gearbeitet wird.
Auch im sportlichen Bereich gibt es verschiedene Veranstaltungen, die grenzüberschreitend sind, wie z. B. der EUROPA Marathon. Dieses große Sportereignis findet jedes Jahr Anfang Juni statt. Neben dem Marathonlauf gibt es noch drei weitere Möglichkeiten einen 42,2 km Marathon zu absolvieren, den Marathon für Handbiker, Skater, Tretroller/Rollstuhlfahrer. Wer es gern kürzer hat, kann Halbmarathon laufen oder skaten oder auch am 5 km oder 10 km Lauf teilnehmen. Auch für die Jüngsten gibt es den Bambinilauf und ganz neu in diesem Jahr das 2 km Kinder-Skaten. Wer sich bis zum Dreikönigstag anmeldet hat, kann für 25 € Marathon laufen. Die Zeitmessung erfolgt mit dem Champion-Chip (Gebühr 5 € und 25 € Pfand).
Wir haben heute ein Zwischenquartier bei meinem Lauffreund und M4y-Reporter Günter Schmidt in Wermsdorf. Da wir schon früher angereist sind sehen wir uns am Samstag Oschatz an. Oschatz nennt sich „Die Stadt im Herzen Sachsens“.
Ein neues Städtchen ward
erbaut.
So wie du nennen wirst den Ort,
Der Sachsenkönig steht und schaut soll er genannt sein fort und fort !"
vom nahen Berge froh hinein Sie steht und lächelt - lächelt - sinnt,
auf all die Häuser groß und klein. bis sie errötend nun beginnt;
Schaut auf das rege Leben hin; "O Schatz !" - Schnell ruft der König froh:
und neben ihm, die Königin. "Du hast's gesagt ! Sie heiße so !"
Sie zeigt ihm wie der Abendstrahl Und O s c h a t z wird die Stadt genannt,
vergoldet Berge, Stadt und Tal. im Sachsenlande wohl bekannt !
Er spricht: "Wie nennen wir die Stadt, Als ich vom Berg sie überschaut,
die jetzt noch keinen Namen hat ? hat man die Sage mir vertraut.
Ludwig Bechstein
Im Altstadtbereich gibt es viele wunderschön restaurierte Gebäude. Das Rathaus mit dem prächtigen Renaissancegiebel blickt auf den Neumarkt mit dem Marktbrunnen. Am alten historischen Gasthaus Zum Schwan kommt man auf den Altmarkt. Hier steht der Altmarktbrunnen wo auf jeder goldenen Tafel eine Weisheit steht, wie z.B. „Träume nicht Dein Leben, sondern lebe Deinen Traum“. Von hier hat man auch einen Blick zu den Türmen der Stadtkirche St. Aegidien.
Diese mittelalterliche Kirche ist das noch einzig erhaltene Gebäude des ehemaligen Franziskanerklosters. Im großen Kirchenschiff finden über 1.100 Besucher Platz. Durch das Bleiglasfenser hinter der Predella am Altar scheint die Sonne durch und gibt dem Altarbild eine ganz besondere Erscheinung.
Im Turm befindet sich eine historische Türmer-Wohnung die noch bis 1970 von der Familie Quietzsch bewohnt war. Über viele Stufen und Stiegen erreicht man auf ca. 30 m Höhe die Wohnung die sich über 3 Etagen verteilt. Es gibt auch die Möglichkeit der Besichtigung und dabei kann man auch rund um die Wohnung hinter einer Balustrade den Fernblick über die Stadt und Land erhalten.
Die Wohnungseinrichtung ist noch überwiegend im Stil der letzten Bewohner die hier teilweise mit 7 Kindern gelebt haben. Ein Teil der Wohnstube wird auch als Cafe genutzt. Im oberen Teil kann man auch noch zu einer oberen Balustrade, um einen noch weiteren Blick zu bekommen. Dann heißt es wieder zurück nach Wermsdorf.
Am Horstsee gehen wir Mittagessen und besuchen dann die große Schlossanlage Hubertusburg. Das 1721 in Barock errichtete Schloss Hubertusburg war ein kurfürstliche-sächsisches Jagdschloss, dass nach dem Schutzpatron der Jagd benannt wurde. 1739 – 1751 wurde es unter Mithilfe vieler bedeutender Künstler durch Johann Knöffel umgebaut.
Der vermeintliche Schlossturm gilt auch als Wahrzeichen von Wermsdorf. Die zum Teil restaurierte Außenfassade spiegelt nur ein wenig Glanz der damaligen Anlage. Die Raumausstattungen wurden während des siebenjährigen Krieges als Vergeltung für die teilweise Verwüstungen des Charlottenburger Schlosses in Berlin geplündert. In die europäische Geschichte ging der Name des Schlosses am 15.2.1763 ein durch den dort geschlossenen Hubertursburger Friedensvertrag. Nur ein ¾ Jahr nach Unterzeichnung starb Kurfürst Friedrich August womit auch das „Augusteische Zeitalter“ für Sachsen endete.
Wir fahren zurück nach Collm und besuchen auf dem Friedhof die älteste Linde Sachsens. Zu Füßen der Linde hält Günter jedes Jahr seinen Heiratsmarkt ab. Heute stehen noch die Hütten von letzter Woche. Unter dieser prächtigen Linde wurde schon im Mittelalter Recht gesprochen. Hier sprachen auch die Markgrafen Recht und entschieden über Tod oder Leben.
Sonntag Marathontag: Wir fahren früh morgens weg und erreichen gegen 8 Uhr die Innenstadt von Görlitz. Heute Morgen ist noch viel Platz zum Parken und so haben wir auch nur 5 Minuten zu Fuß bis zum Augustum-Annen-Gymnasium wo wir unsere Startunterlagen abholen. Unterwegs treffen wir auf meinen Lauffreund Klaus Egedesø vom Horsensrun/Klub 100 Marathon DK der heute auch hier starten wird. Klaus musste dafür rund 800 km fahren. Ja, er ist der verrückte Marathon-Däne aber für mich ein guter Lauffreund geworden, wo ich mich über jedes Wiedersehen freue.
In der Sporthalle des Gymnasiums ist das Startbüro wo wir unsere Startnummer abholen. Heute Morgen ist es so um die 10-12 Grad Sonne aber ein kühler Wind. Was soll man zum Lauf anziehen? Kurze Hose, T-Shirt und für den Anfang eine dünne Laufjacke ist meine und auch Günters Entscheidung.
Dann geht es zum Start der sich nur 100 m hinter dem Dicken Turm, wie er von den Görlitzern genannt wird, befindet. Dieser 46 m hohe Frauenturm wurde 1250 errichtet als Teil der Stadtbefestigung. Hinter dem Turm befindet sich zwischen der Elisabethstraße ein Grüngürtel der schon heute Morgen gut frequentiert wird von Läufern und Zuschauern.
Hier treffe ich auf Gerd Papcke, den jetzigen Schwaben aus Hamburg. Gerd ist 81 Jahre alt und wird heute seinen 410. Marathon laufen. Nach einer längeren Unterhaltung müssen wir uns aber fertig machen zum Start. Günter trifft Lukas Küpper aus Aachen, mit dem er sich die Schiedsrichterkabine als Schlafplatz beim Senftenberg Hallenmarathon geteilt hat. Im Januar hat Lukas dort den Marathon gewonnen, heute sagt er wird er nicht mit vorn sein.
Gerade sind die Marathon Handbiker und kurz danach die Marathon Skater/Tretroller und Rollstuhlfahrer gestartet. Es ist 9:10 Uhr und los geht es für unsere kleine Marathongruppe, von rund 150 Startern. Die ersten 200 m geht es bergab und alle rennen los als wollten sie den Marathon gewinnen. Nach den ersten 500 m kommt dann auch schon die erste Welle aufwärts und die Gruppe zieht sich ganz schnell auseinander.
Wir umlaufen den Stadtpark und kommen schon nach dem Km-Schild 1 an die deutsch-polnische Grenze. Vor der Lausitzer Neiße sind wir in Görlitz und hinter der Friedensbrücke sind wir in Zgorzelec, was in Deutsch auch Görlitz heißt.
Hier werden wir sehr lautstark von einer Trommelgruppe empfangen. Schon am ersten Abzweig geht es rechts ab zum Andrzeya Blachanca Park. Viele große Hinweise auf billige Zigaretten und Wechselstuben gibt es hier. Die Polen haben ja noch keinen Euro und so müsste man hier in Zloty bezahlen. Viele Geschäfte, die heute auch am Sonntag geöffnet haben nehmen, aber auch Euro an und wechseln in 4:1 um.