34. Nacht van West-Vlaanderen

Ein Volks- und Straßenlauf-Festival im belgischen Torhout

21. und 22. Juni 2013 von Bernd Neumann

 Gestern Abend war ich beim Peter-Maffay-Konzert in Kassel auf dem Hessentag und heute zieht es mich in unser Nachbarland Belgien. Ich bin in Belgien erst ein Mal gelaufen und zwar den Brüssel-Marathon 2009. Nun kommt mein zweiter Start in Torhout einer Kleinstadt mit 20.000 Einwohnern. Hier wird schon zum 34. Mal in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni die "Nacht van West-Vlaanderen" ausgerichtet. Circa 20km südlich von Brügge oder 25km südöstlich von Oostende findet seit 1980 diese große Sportveranstaltung ununterbrochen statt.

 Unser Nachbarland Belgien hat seinen Namen von Gaius Julius Cäsar bekommen, denn er nannte die gallischen Stämme nördlich der Seine und der Mame Belgae und die Provinz Belgica. Meine Reise geht fast durchs ganze Land bis 25km vor die Nordsee in die Provinz West-Flandern. Sie ist die einzige belgische Provinz mit Zugang zum Meer. Die höchste Erhebung ist der 156m hohe Kemmelberg in der südlichen Hügelzone. Der nördliche und der westliche Teil von West-Flandern bestehen hauptsächlich aus flachen Marschland, das der See abgerungen wurde.

 Eine halbe Autostunde von hier entfernt fand der 1. Weltkrieg statt. Noch heute sind in der näheren Umgebung viele Schützengräben, Kriegsdenkmäler und auch Friedhöfe der toten Soldaten aus vielen Nationen zu besichtigen. Bei den Briten ist für dieses Gebiet ein Erster-Weltkrieg-Tourismus entstanden. Entlang der ehemaligen Front findet zum Gedenken schon seit 5 Jahren der Flanders Fields Marathon im September statt.

 Auch in Belgien gibt es eine Marathonscene die jedoch sehr bescheiden ist, denn man findet nur rund 15 Marathons, aber dafür gibt es 22 Ultras und sogar 2 Multi-Days. Der wohl bekannteste Marathon ist der Brüssel-Marathon. Die bekanntesten belgischen Marathonläufer sind Eddy Hellebuyck (2:11:50 Antwerpen 1994), Vincent Rousseau (2:07:20 Berlin 1995 – belgischer Rekord) und Rik Ceulemans (2:13:42 Amsterdam 2003). In der Marathon-Scene ist Stefaan Engels bekannt geworden durch seine 365 Marathons in 365 Tagen. Er lief dabei weltweit in sieben Ländern, mit einem Durchschnitt von 4 Stunden und hatte dabei seine Bestzeit von 2:56 aufgestellt.

 Was erwartet mich in einer Stadt deren Wurzeln bis ins 2. Jh. nach Chr. zurückreichen. Diese Stadt ist die älteste Stadt der Grafschaft Flanderns. Früher waren die Durchreisenden und Kaufleute froh und sicher in diesem gastfreundlichen und betriebsamen Städtchen, denn durch das Brügger Umland schlichen sich Räuberbanden. Heute ist das Brügger Ommeland friedlich und hat von seiner Gastlichkeit nichts eingebüßt. Neben den baulichen Sehenswürdigkeiten wie z. B. die Wasserburg Wijnendale, die romanische Sint-Pietersbandenkerke oder das Museum Torhouts Aardewerk im Kasteel Ravenhof hat die Stadt auch einige regionale kulinarische Genüsse zu bieten. Wer einmal hier ist sollte unbedingt ein Mal am Thouroutenaere genippt haben, ein Stückchen Wynendalekäse mit und ohne den Mostaard Wostyn probiert haben. Es gibt hier auch Senfbier, Senfjenever oder die Senfpraline. Für den Süßen gibt es die Torhouter Torretaart, eine Kreation aus gemahlenen Mandeln und Biscuit und einer Füllung aus Schlagsahne, Mascarpone und Kirschen.

 Nun heißt es für mich erst Mal rund 500km Anfahrt über Duisburg, Eindhoven, Antwerpen, Gent und Brügge. Ich erreiche das 20.000 Einwohner-Städtchen mit seiner Backsteingeprägten Innenstadt gegen Nachmittag.

 Da sich das Start- und Anmeldezentrum am Sportplatz bzw. Sportcentrum in der Industrielaan 2 befindet habe ich hier auch mein Auto geparkt, denn ab 17 Uhr kann man hier seine Startunterlagen holen bzw. sich noch nachmelden. Da es nur noch über 3 Stunden bis zum 1. Start um 20 Uhr sind ist es noch sehr ruhig in der Halle. Ich gehe in die Innenstadt, denn es sind von der Halle nur ca. 500m und ich stehe neben der alten historischen und romanischen Sint-Pietersbandenkerke aus dem 12. Jh. Ich laufe eine Stunde durch die alten Gassen und komme so auch am barocken Rathaus vorbei. Es ist jedoch heute nur ein Teil davon zu sehen, denn überall in der Innenstadt werden Stände und eine große Bühne aufgebaut für die Nacht der Nacht in Torhout. Die Spuren der Vergangenheit aus dem 18. und 19. Jh. kann man noch an vielen Gebäuden sehen, wie z.B. das alte Hospital „Ten Walle“, das alte Amtsgericht, der alte Friedhof, der Hendrik Conscienceplein, das „'s Gravenwinkel“, die Anlage „de Brouckere“ und das Schloss Ravenhof.

 Ich begebe mich dann wieder zurück in die Sporthalle und hole meine Unterlagen ab. Jetzt herrscht hier rege Betriebsamkeit, denn heute Abend werden rund 3.500 Teilnehmer ihren Wettkampf gegen die Zeit und die Nacht aufnehmen. Für mich als Marathonsammler gibt es heute laut Internet ein angenehmes Zeitlimit von 6 Stunden und der Blick in die letzten Jahresergebnislisten zeigt das hier auch langsame Läufer am Start sind.

 Wie schon Volker Berka in seinem Bericht von 2007 schrieb: Im Nachhinein bin ich froh, dass für die in Deutschland am Samstag, dem 23.06.2007, in Löningen (29.6.13), Drebber (8.6.13. nur 13 Teilnehmer) und Stüde (30.6.13) ausgerichteten Marathonläufe ein Zeitlimit von nur 5 Stunden vorgegeben war und man Läufer/innen "meiner Preisklasse" dort nicht bzw. nicht mehr haben wollte. Ich wäre nämlich sonst nicht bis nach Torhout gefahren und hätte damit ein riesiges Sportspektakel sowie ein unvergessliches Erlebnis versäumt. Auch ich muss sagen, dass es sich hierbei um eine wirklich große Sport- sprich Lauf- und Marsch- Veranstaltung handelt.

 Bei der Nacht von West-Vlaanderen gibt es die Möglichkeit am Freitag 10km, Marathon oder 100km zu Marschieren oder 5km, 10km, Halb-Marathon oder Marathon zu laufen und am Samstag 50km oder 100km zu laufen. Von Freitag auf Samstag findet hier schon zum 34. Mal ein Lauf- und Marschfestival statt.

 Die Idee zu dieser Veranstaltung war der Dodendrocht (Totenkopfmarsch) eine 100km Wanderung die jährlich im August stattfindet und bei sich zwischen 8.000 und 10.000 Wanderer und Läufer einfinden. Das Ziel dabei ist nicht eine bestimmte Zeit zu erreichen, sondern die 100km innerhalb von 24 Stunden zu schaffen. Die Erfolgsquote liegt bei 40-60%.

 Zurück in Torhout bei der Nacht von West-Vlaanderen. In den 100km Siegerlisten findet man nur bei der 1. Veranstaltung einen Deutschen Sieger, jedoch bei den Frauen gab es schon 5 deutsche Siegerinnen im Laufe der 33 Jahre. Die meisten Siege (8) hat der Belgier Jean-Paul Praets, wobei seine Zeit von 6:15:30 aus 1989 leider nicht als Weltbestzeit anerkannt wurde da er den Sportboykott gegen die Apartheid in Südafrika gebrochen hatte. Der Frauenanteil liegt beim 100km Lauf bei ca. 5% und beim Marathon bei ca. 10%. Erfreulicher sind die Zahlen beim 10km Lauf hier starten bis zu einem Drittel Frauen.

 Der 1. Start ist um 20 Uhr für die Marathonläufer (gemeldet 373 Teilnehmer - Zeiten zwischen 2:22:50 und 5:10:29 Stunden) sowie die HM-Läufer (gemeldet 378 Teilnehmer – Zeiten zwischen 1:10:14 und 2:23:19 Stunden). Um 20:15 Uhr startet das riesige Feld der 10-km Läufer (gemeldet 1828 Teilnehmer – Zeiten zwischen 32:26 Min. und 1:31:29 Stunden), anschließend starten die Teilnehmer am Marsch bzw. Wanderung (42 km - ca. 450 Teilnehmer – Zeiten zwischen 5 und 12 Stunden), (100 km Marsch - ca. 500 Teilnehmer - Zeiten zwischen 11 und 24 Stunden). Morgen früh um 9 Uhr starten dann noch die 50km und 100km Läufer.

 Ich lese mir dann das Infoblatt zum heutigen Start durch soweit ich das niederländische übersetzen kann. Dann kommt die Zeile: Tijdslimiet: marathon 5u15uur, was so viel heißt Zeitlimit für den Marathon 5 Stunden und 15 Minuten. Im letzten Jahr kamen noch 7 Läufer zwischen 5:15 und 5:45 ins Ziel. Ich wollte doch heute nur locker und langsam laufen, alles Schnee von gestern. Ich fahre doch nicht 500km um dann aus dem Zeitlimit zu fallen, also neue Strategie. Mal sehen was der Körper im 10. Marathon seit Mitte April noch hergibt. Wem das Limit zu eng ist der kann auch die Strecke Wandelen (Wandern).

 Nun zum Marathonlauf der heute aus 2 Runden besteht, einmal vom Sportcentrum weg durch die Innenstadt und dann ab in die südlichen Bezirke. 1. Runde 21,098km, 2. Runde 21,097 km. Da wir ein Stück vor dem Ziel gestartet sind müssen wir Marathonis in der 2. Runde eine kleine extra Runde eingebaut in die 2. Runde zusätzlich laufen.

 Der Start erfolgt ca. 200m von der Halle entfernt neben dem Schwimmbad. Pünktlich um 20 Uhr gehen 360 HM und 328 Marathonläufer auf die Strecke, von denen nur 3 halbe und 20 ganze nicht das Ziel erreichen werden. Das Abenteuer Nacht van West-Vlaanderen kann beginnen.

 Es geht gleich richtig los, alle rennen wie um ihr Leben vom Start weg. Es geht am 1. Kreisel nach rechts ab und direkt in die Innenstadt. Schon hier befinden sich viele Zuschauer an der Strecke. Es geht vorbei an der Sint-Pietersbandenkerke und schon sind wir am Marktplatz. Hier stehen die Zuschauer schon in mehreren Reihen und applaudieren uns Läufern zu. Viele wollen auch ein Foto von ihrem Athleten schießen. Der Marktplatz ist schon gut gefüllt denn die Stadt feiert heute Nacht ihre Athleten von der mittlerweile schon 34. Nacht van West-Vlaanderen. Auf der Bühne gibt es Life-Musik die uns vorantreibt.

 Es geht vorbei am späteren kleinen Zieltor. Hinter dem Platz biegen wir ab auf die Lichterfeldestraat, denn der Ort wird heute unser südlichster Laufpunkt werden.

 Das Feld hat sich jetzt schon auseinandergezogen und man gut erkennen wer heute zwei Runden läuft. Die Marathonläufer haben eine Startnummer borst und en rugnummer. Ganz wichtig für heute Nacht: Borstnummers goed zichtbaar aanbrengen op de borst, (met Chip), en op de rug met reflecterende strip voor de marathon. Also, wer auch eine Rückennummer trägt läuft Marathon.

 Nach knapp 2km sind wir aus der Innenstadt rausgelaufen. Es geht nun in einer Welle unter der Eisenbahn durch in die Wohnsiedlungen. An der nächsten großen Kreuzung wo auch die Firma eines Sponsors liegt biegen wir ab im Winkel der oberen Hälfte eines X. Hier befindet sich der 1. Verpflegungsposten. Es gibt auf der ganzen Runde fünf Posten mit: Water, Ice Tea, Cola, Rozijnen, Bananen, Peperkoek und Chocolade. Die vielen fleißigen Helfer sind bemüht auch den langsameren Läufern noch das komplette Angebot zu bieten und füllen in Windeseile die leeren Becher.

 Es geht nun in einem zickzack Kurs vorbei an grünen Feldern und einigen Höfen. Vor einem scharfen Knick erreichen wir km 5. Hier kann ich die vielen bunten Shirts sehen die heute so unterwegs sind. In der nächsten Runde wird es hier schon dunkel sein und wir werden nur noch ganz vereinzelt unterwegs sein.

 Hier komme ich ins Gespräch mit einem jungen Belgier der zwei Mädels in rose begleitet. Sie laufen heute ihren 1. Marathon und sind nach meiner Hochrechnung auf einem 4:10er Kurs. Alle Achtung!

 Wir erreichen Turfhouwe bei ca. 6,5km und der Kurs dreht in nördliche Richtung. Kurz hinter 8km gibt es eine weitere Versorgungsstation und wir haben auch den unteren Teil des X gelaufen. Diese kleine Runde waren so ca. 6km.

 Dann geht es in die nächste kleine Runde bis zum südlichsten Punkt der Laufstrecke Lichterfelde, das wir bei km 11 erreichen. Nun geht es 1,5km durch die Siedlung bis wir schon von Weiten laute Musik hören. Wir biegen auf den Marktplatz von Lichterfelde ab. Auch hier gibt es ein Fest für die Läufer.

 Viele Menschen stehen hinter Absperrgittern und applaudieren uns zu. Dazwischen entdecke ich Kinder mit Medaillen um den Hals. Während die Großen in Torhout starten haben die Kinder hier in Lichtervelde um 18 Uhr ihre Wettkämpfe ausgetragen. Die Kinder- und Jugendläufe fanden auf 5 verschiedenen Streckenlängen je nach Alter statt. Auf dem Platz vor der Kirche ist eine Bühne aufgebaut wo die Siegerehrungen stattgefunden haben. Bis spät in die Nacht gibt es hier Life-Musik um die vorbeilaufenden Marathonis zu feiern.

 Vor uns ist die prächtige St. James Kirche, ein Meisterwerk der Neugotik. In der Kirche gibt es noch einen romanischen Taufstein aus dem 12. Jh. der heute noch genutzt wird. Im Juli eines jeden Jahres gibt es zu Ehren von St. Margaret einen 10-tägigen Ommegang. Zu dieser alten Tradition kommen viele Pilger aus den benachbarten Gemeinden. Lichterfelde zeichnet sich auch noch aus durch ein Theater das 1924 gegründet wurde und als einziges Kino von den Pioniertagen bis in die Neuzeit in Belgien noch besteht

 Wir umlaufen den Marktplatz mit einer großzügigen Schleife durch eine Wohnsiedlung. Es gibt kurz hinter der Kirche eine weitere Versorgungsstation. Ca. 1km weiter steht links der Laufstrecke ein großes Schild mit: OF DRINK e PiLSje. Gegenüber sitzt eine Gruppe junger Leute und ist am Feiern. Als ich dann zum Tisch gehe und mir en Pilsje nehme erhalte ich tosenden Beifall.

 Kurz hinter km 14 erreichen wir wieder den großen Platz und wir werden mit viel lauter Musik verabschiedet. Die Lichtenvelder werden noch weit bis in die Nacht feiern.

 Über die Marktstraße erreichen wir den Bahnhof Lichterfelde. Hier erwartet uns eine weitere Versorgungsstation. Nun geht es über die Bollestraat gen Norden Richtung Torhout zurück.

 Kurz hinter km 20 geht es über die Tuinstraat (Gartenstraße) in Richtung der Eisenbahnbrücke. Hier schließt sich der Kreis zurück in die Innenstadt. Wir laufen über die Zuidstraat (Südstraße) in Richtung Markt.

 Es geht an der anderen Seite des Marktplatzes geradeaus. Links liegt das Schloss Ravenhof. Wir sehen nur ein kleines Stück des alten Gebäudes. Das Schloss ist von einem alten Burggraben umgeben der heute als Zierteich umgestaltet ist. Das Schloss hatte viele wechselnde Besitzer. Anfang des 20. Jh. hat der Schuhfabrikant Oscar Hostyn einen Teil der Innenräume im Stil Ludwig XVI, in dem auch heute noch viele Gemälde hängen, einrichten lassen.

 Über die Oostendestraat geht es zurück zum Ziel am Marktplatz. Hier ist jetzt der Teufel los. Die Torhouter sind mit der fetzigen Rockband am Feiern. Die Innenstadt ist jetzt richtig voll.

 Die 1. Runde ist beendet und es geht über die Zeitnahmeschwelle neben dem Zieltor in die 2. Runde. Es ist wie fast überall, es beginnt die Runde der Einsamkeit.

 Am Ortsende gibt es ein Hinweisschild auf: Nuttige Telefonnummern. Das sind keine Rotlichtrufnummern sondern im niederländischen sind dies nützliche Telefonnummern z.B. von Ämtern oder Notrufen.

 Die Strecke ist komplett mit gelben Pfeilen gekennzeichnet und an den Abzweigen stehen Helfer. In der 2. Runde stehen sie wirklich nur noch rum, ich glaube sie sind müde denn es geht ja schon langsam auf Mitternacht zu.

 Da es jetzt dunkel wird, wird es auch ruhiger an der Strecke. In den Wohngegenden gibt es nur noch vereinzelt Menschen die uns zurufen. Die Temperaturen sind angenehm aber es kommt ein Wind auf der manchmal ganz schön heftig von vorn bläst. Ich habe meine neue Windjacke mit die ich mir zur Not noch anziehen könnte.

 Kurz bevor ich zum zweiten Mal Lichterfelde bei km 32 erreiche werde ich in Deutsch begrüßt. Eine junge Engländerin ist von hinten zu mir aufgelaufen. Sie erzählt mit, dass sie jetzt in Belgien lebt und deshalb auch ein wenig flämisch spricht. Ihr deutsch hat sie in Köln gelernt. Sie erzählt mir von vielen schönen Marathonläufen in England. Besonders schwärmt sie von den Läufen die direkt an der Südküste und runter in Cornwall bis zu Lands End gehen.

 Während meiner Fotos in der dunklen Nacht in Lichterfelde läuft sie mir dann davon. Dann kommt der km 35, nochmal über den Marktplatz und ab zum Bahnhof von Lichterfelde. Nochmal trinken, während hier schon abgebaut wird und auf gen Norden.

 Kurz vor km 39 schaue ich auf meine Uhr und ich könnte heute so um die 4:55 ins Ziel kommen. Dann kommt mir in den Sinn wann kommt nun diese kleine Schleife in der 2. Runde. An einem dunklen Straßeneck geht die Laufstrecke versetzt weiter und ich achte nicht darauf und biege vermeintlich richtig zu sein links in die Schleife ab. Es geht ein Stück in die stockdunkle Nacht. Ich bin der Meinung ich bin richtig und stolpere über Felder und tiefes Gras. Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit und ich war von der Laufstrecke weg. Irgendwann bin ich dann umgedreht zurück bis zum Licht. Jetzt sehe ich Blaulicht und das Schlussfahrzeug. Ich renne schnell hinterher und bin wieder auf der richtigen Laufstrecke. Ist alles nicht so schlimm, eigene Dummheit aber meine Ziel unter 5 Stunden ist weg.

 Als ich so am Schlussfahrzeug vorbei laufe fragt man mich woher ich komme. Ich sagte, dass ich mich verlaufen habe und im Feld gelandet sei. Vor mir noch zwei Läufer, der eine läuft ganz langsam der andere macht Gehpausen und rennt wieder zum anderen auf. Ich geselle mich dazu.

 So geht es immer im Wechsel von uns Dreien bis zur Bahnunterführung. Dann beschleunige ich nochmal und nehme meinen Verfolgern nochmal eine halbe bzw. eineinhalb Minuten ab. Dann das Ziel, geschafft. Mein Garmin zeigt mit knapp 44km, was soll`s, besser aufpassen dann passiert so was nicht. An meiner Platzierung wären es eventuell zwei Plätze besser gewesen, wäre wenn was.

 Ich habe es geschafft noch unter 5:10 und somit noch 5 Minuten vor Zielschluss. Als ich mir meine verdiente Medaille abholen will gibt es keine mehr. Der Veranstalter André Mingneau verspricht mir sie per Post nachzuschicken.

 Dann gehe ich zurück die ca. 500m zur Sporthalle wo jetzt so gegen 1:30 Uhr noch was los ist. Ich hole mir mein Erinnerungsshirt ab und hole meine Duschsachen. Die Duschen sind menschenleer aber es gibt noch warmes Wasser. Da ich jetzt total müde bin lege ich mich gegen 2:30 Uhr ins Auto zum Schlafen. In der Nacht werde ich immer wieder von einem Glockenschlag, so ähnlich wie beim Anglasen in Wilhelmshaven geweckt. Nach so 3-4 Stunden Schlaf krieche ich aus meinem Auto und gehe in die Halle. Jetzt sehe ich auch, dass am Halleneingang eine Messingglocke hängt und jeder Marathon-Wandeler schlägt sie an wenn er die Halle betritt. Sie gehen über einen roten Teppich zur Zeitnahme und lassen sich dann als Finisher eintragen.

 Während ich mir einen Kaffee hole sehe ich die Wanderer die 42km gewandert sind in die Halle kommen. Sie sind kurz nach uns gestartet und jetzt so nach 11 Stunden im Ziel. Wenn ich die Figuren mir so ansehe bin ich erstaunt was man mit so viel Gewicht doch marschieren kann. An ihren Ärmeln und Shirts sehe ich Aufnäher das viele schon echte 100km Wandeler, sprich Marschierer sind. Hier in Belgien gibt es eine große Marathon, 50km oder auch 100km und noch längere Strecken Wanderer Scene. Sie stärken sich jetzt mit Bier und Keksen.

 Heute am Samstag starten um 9 Uhr noch die 50km und die 100km Läufer sowie ein Radrennen. Ich fahre dann noch nach Oostende, aber es beginnt jetzt zu regnen und so mache ich mich langsam auf den Weg nach Hause. Ich erreiche am späten Nachmittag mein Zuhause glücklich und zufrieden.

 Die 34. Nacht van West-Vlaanderen ist zu Ende. Ins Ziel kamen bei den 10km-Läufern 1521 sowie 357 Halbmarathonläufer und 308 Marathonläufer. Ich bin trotz meiner Zeit schnellster Deutscher hier gewesen (ich war einziger Deutscher). Der Sieger meiner Altersklasse, der M60, ist 3:01:43 gerannt. Obwohl es nur 30km bis zur niederländischen Grenze sind, sind hier nur 15 Niederländer Marathon gelaufen. Außerdem waren noch 3 Briten, 1 Spanier, 1 Russe und ich als einziger Deutscher dabei. Bis zur französischen Grenze sind es nur 30km aber kein Franzose fand den Weg nach Torhout. Ich finde es schon seltsam, dass so eine gute Veranstaltung nicht mehr Marathonis über die Grenze zieht. Achtung für Marathon-Sammler, die meisten Marathons in Belgien haben nach 5 Stunden Zielschluss.

Marathonsieger:

Männer

  1. Stijn Fincioen               Varsenare BEL             2:22:50
  2. Dieter Brouckaert         Zerkegem BEL             2:30:17
  3. Mark Jorissen              Zwijndrecht BEL           2:32:56

Frauen

  1. Nathalie Pluvier            Zerkegem BEL              3:22:53
  2. Chris Peeters               Blankenberge BEL         3:35:15
  3. Petra Sliepers              BEL                                3:36:17

Halbmarathonsieger:

Männer

1.     Frederick Colpaert        Handzame BEL             1:10:14

2.     Guy de Blander             Roosdaal BEL               1:13:57

3.     Didier Verstraete           Langemark BEL             1:14:26

Frauen

  1. Veronique Coene           Beernem BEL               1:27:18
  2. Jorina Teerlinck              Koolkerke BEL              1:29:50
  3. Kathleen Bulcke            Diksmuide BEL              1:34:46